Einige Gedichte aus

Diván del Tamarit

von Federico García Lorca

Deutsch von Johannes Beilharz 

 

Gacela der überraschenden Liebe

Niemand begriff den dunklen Magnolien-
duft deines Bauches.
Niemand wußte, daß du zwischen den Zähnen
einen Kolibri der Liebe zu Tode quältest.

Tausend persische Pferdchen schliefen
auf dem Platz im Mondlicht deiner Stirn,
während ich vier Nächte lang deine
Taille, Feindin des Schnees, umschlungen hielt.

Zwischen Gips und Jasmin war dein Blick
ein blasser Zweig mit Samen.
Ich suchte, als Gabe für dich, in meiner Brust
die Elfenbeinbuchstaben, die ewig, ewig,

ewig bedeuten: Garten meiner Qual,
dein Körper für immer flüchtig,
das Blut aus deinen Adern in meinem Mund,
dein Mund schon lichtlos zu meinem Tode.

Gacela del amor imprevisto

 

Gacela der verzweifelten Liebe

Die Nacht will nicht kommen,
damit du nicht kommen kannst
und ich nicht gehen kann.

Aber ich werde gehen,
auch wenn eine Skorpionsonne mir die Schläfe auffrißt.

Aber du wirst kommen
mit deiner vom Salzregen verbrannten Zunge.

Der Tag will nicht kommen,
damit du nicht kommen kannst
und ich nicht gehen kann.

Aber ich werde gehen
und meine zerbissene Nelke den Kröten überlassen.

Aber du wirst kommen
durch die trübe Kloake der Dunkelheit hindurch.

Weder Nacht noch Tag wollen kommen,
damit ich für dich sterbe
und du für mich stirbst.

Gacela del amor desesperado

 

Gacela des toten Kindes

In Granada stirbt jeden Nachmittag,
stirbt jeden Nachmittag ein Kind.
Jeden Nachmittag setzt sich das Wasser
und redet mit seinen Freunden.

Die Toten haben moosige Flügel.
Der bewölkte Wind und der reine Wind
sind zwei Fasane, die an den Türmen vorbeifliegen,
der Tag ist ein Junge mit einer Wunde.

In der Luft war nicht einmal mehr die Spur einer Lerche,
als ich dich im Weingewölbe traf.
Auf der Erde verblieb nicht einmal eine Krume Wolke,
als du im Flusse ertrankst.

Ein Riese aus Wasser fiel auf die Berge,
und das Tal umgab sich mit Hunden und Lilien.
Im violetten Schatten meiner Hände war dein Körper,
tot am Ufer, ein Erzengel der Kälte.

Gacela del niño muerto

 

Casida der dunklen Tauben

Durch die Äste des Lorbeers hindurch
sah ich zwei dunkle Tauben.
Die eine war die Sonne,
die andere der Mond.
Kleine Nachbarn, sagte ich zu ihnen,
wo ist mein Grab?
In meinem Schwanz, sagte die Sonne.
In meiner Kehle, sagte der Mond.
Und ich, der ich bis zum Gürtel
in der Erde ging,
sah zwei Adler aus Marmor
und ein nacktes Mädchen.
Der eine war der andere,
und das Mädchen war keines.
Kleine Adler, sagte ich zu ihnen:
wo ist mein Grab?
In meinem Schwanz, sagte die Sonne.
In meiner Kehle, sagte der Mond.
Durch die Äste des Lorbeers hindurch
sah ich zwei nackte Tauben.
Die eine war die andere,
und beide waren keine.

Casida de las palomas oscuras

 

Casida des vergoldeten Mädchens

Das vergoldete Mädchen
badete im Wasser,
und das Wasser färbte sich golden.

Die Algen und die Zweige
im Schatten beschatteten sie,
und die Nachtigall sang
für das weiße Mädchen.

Da kam die klare Nacht,
durch übles Silber trübe,
mit kahlen Bergen
unter der grauen Brise.

Das nasse Mädchen
war weiß im Wasser,
und das Wasser loderte.

Da kam die fleckenlose Morgenröte
mit tausend Kuhgesichtern,
steif ins Leichentuch gehüllt,
mit gefrorenen Girlanden.

Das weinenende Mädchen
badete inmitten von Flammen,
und die Nachtigall weinte
mit verbrannten Flügeln.

Das goldene Mädchen
war ein weißer Reiher,
vergoldet durch das Wasser.

Casida de la muchacha dorada

 

Casida der hingestreckten Frau

Dich nackt sehen ist Erinnerung an die Erde,
die glatte Erde, von Pferden leergefegt.
Die Erde ohne Binsen, reine Form,
der Zukunft verschlossen: Reich des Silbers.

Dich nackt sehen ist die Begierde des Regens
begreifen, der die matte Gestalt sucht,
oder das Fieber des riesengesichtigen Meers,
das an seiner Wange kein Licht findet.

Das Blut klingt durch die Schlafzimmer
und kommt mit blitzenden Schwertern daher,
aber du weißt nicht, wo sich Kröten-
herz und Veilchen verbergen.

Dein Bauch Wurzeln im Kampfe,
deine Lippen umrißloser Morgen.
Unter den lauen Rosen auf dem Bett
stöhnen die Toten, bis die Reihe an sie kommt.

Casida de la mujer tendida

 

Casida der Wehklage

Ich habe meinen Balkon verriegelt,
weil ich das Wehgeschrei nicht hören will,
doch hinter den grauen Mauern
höre ich nur das Wehgeschrei.

Nur ganz wenige Engel singen,
nur ganz wenige Hunde bellen,
tausend Geigen passen in meine Handfläche.

Doch die Wehklage ist ein ungeheurer Hund,
sie ist ein ungeheurer Engel,
sie ist eine ungeheure Geige.
Die Tränen knebeln den Wind,
und nur das Wehgeschrei ist zu hören.

Casida del llanto

 

Casida (Kasside) und Gacela (Gasel) sind orientalische Gedichtformen.

Diese Gedichte stammen aus der Sammlung Diván del Tamarit von 1936. Copyright © der Übersetzung Johannes Beilharz 2010.

Gedichte von Federico García Lorca aus Poema del cante jondo | Internationale Lyrik in deutscher Übersetzung | E-Mail