DIE LAGE VON HIGH TOR

 

High Tor ist der Name eines großen, felsigen Hügels, der die Westseite des Hudson River überragt und von dem aus die Skyline von New York City, das etwa 50 Kilometer weiter südlich liegt, deutlich zu sehen ist. Der Name (der Tür oder Tor bedeutet) wird in den Legenden von Rockland County, New York, sowohl mit den Bemühungen der amerikanischen Ureinwohner als auch von europäischen Einwanderern in Verbindung gebracht, die Menschheit dazu zu bringen, das Böse zu verwandeln und dem Guten zu dienen. Der Name steht auch für unsere Absicht, eine Allianz zu schaffen, die sich für die Integration verschiedener spiritueller Praktiken und Traditionen in das Arbeits- und Organisationsleben einsetzt.

 

Zwei Versionen der High Tor-Legende mit kurzem Kommentar

    

DER RAMAPO-SALAMANDER

 

Eine denkwürdige Geschichte der Rosenkreuzer besagt, dass vor mehr als zwei Jahrhunderten eine Gruppe deutscher Kolonisten in das Ramapo-Tal kam und Häuser aus Stein errichtete, wie sie sie in ihrem heimatlichen Harz gebaut hatten. Und als die Indianer sahen, wie sie Messer und andere wunderbare Dinge aus dem Metall herstellten, das sie mit Feuer aus Gestein gewannen, hielten sie sie für Götter und zogen weg, da sie sich der Inbesitznahme des Landes durch sie nicht widersetzen wollten.

 

Hier gab es einen Schatz, denn High Tor, der zerrissene Berg, war die Heimat von Amasis, dem jüngsten der Weisen, die dem Stern von Bethlehem gefolgt waren. Er hatte seinen Weg durch Asien und Alaska in dieses Land gefunden, eine Einheimische zur Frau genommen, mit der er ein Kind hatte, und hier auf dem Gipfel einen Tempel gebaut. Er weigerte sich, die Sonne anzubeten, als die Indianer von ihm verlangten, ihren Glauben anzunehmen, wurde angegriffen und wäre getötet worden, hätte nicht ein Erdbeben den Boden unter seinen Füßen aufgerissen, ein neues Bett für den Hudson aufgetan und alle außer dem Weisen und seiner Tochter in ihn gestürzt. Ihm waren in einer Vision die Geheimnisse des Reichtums in den Felsen offenbart worden.

 

Der Anführer der deutschen Kolonie, ein gewisser Hugo, war ein Mann adliger Herkunft, der eine Frau und zwei Kinder hatte: einen Jungen, nach ihm selbst benannt, und ein Mädchen namens Maria. Obwohl es in seinem Heimatland üblich war, das Feuer der Schmiede einmal in sieben Jahren zu löschen, lehnte Hugo diesen Brauch in der von ihm errichteten Schmiede als unnötig ab. Doch seine Männer murrten und warnten vor dem Salamander, der in sieben Jahren in ungelöschter Flamme heranwächst und dann sein Unwesen treibt.

 

An dem Tag, an dem diese Zeitspanne zu Ende ging, betrat der Meister seine Schmiede und sah, wie die Männer in den Ofen starrten, auf eine bleiche Gestalt, die aus Flammen zu bestehen schien und im Feuer nickte und sich drehte, ihnen hie und da die Zunge herausstreckte oder den Schwanz aus dem Feuer streckte und auf dem Steinboden ruhen ließ. An der Tür überkam auch ihn etwas wie eine Lähmung, und das Feuer schien ihm die Eingeweide zu verbrennen, bis er spürte, wie ihm Wasser ins Gesicht gespritzt wurde, und er sah, dass seine Frau, die zu Hause geblieben war, weil sie zu krank war, um aufzustehen, hinter ihm stand, Weihwasser in den Ofen schüttete und dabei eine Beschwörung sprach. In diesem Moment erhob sich ein Sturm und es fiel ein Regen, der das Feuer löschte. Als jedoch die letzte Glut erloschen war, fiel die Frau tot um.

 

Als ihre Kinder sieben Jahre später getauft werden sollten, sahen diejenigen, die während der Feier vor der Kirche standen, einen grellen Blitz, und die Amme wandte sich erschrocken von dem Jungen weg. Als sie die Hände von den Augen nahm, war das Kind verschwunden. Zweimal sieben Jahre vergingen und die Tochter blieb unbefleckt von der Welt. Denn in der Nacht, in der ihr Vater sie auf den Gipfel des High Tor geführt und ihr gezeigt hatte, was Amasis gesehen hatte – die Erdgeister in ihren Höhlen, die Juwelen anhäuften und anboten, sie Hugo zu schenken, sobald er das Wort spräche, das den Freien an die Erdkräfte bindet und seine Zukunft tausend Jahre lang versperrt – war es ihr Gebet, das ihn zur Besinnung brachte und das Bild, das er im Abgrund unter sich sah, verdunkelte, obwohl das unheilvolle Licht des Salamanders, der sich am Boden der Höhle an die Felsen klammerte, ein Glühen in den Himmel schickte.

 

Viele Nächte danach war das Leuchten auf der Höhe zu sehen und Hugo war nicht nach Hause gekommen. In Ermangelung einer reinen Seele, die als Interpret dienen konnte, gelang es ihm nicht, die Worte zu lesen, die in dem Dreieck auf dem Rücken des Salamanders brannten, und er kehrte voller Wut und Eifersucht zurück. Ein Reiter war vor kurzem in der Siedlung aufgetaucht, und zwischen ihm und Maria waren zärtliche Gefühle entstanden, die jedoch unausgesprochen blieben, bis sie ihm, nachdem er sie vor dem Angriff eines Panthers gerettet hatte, in die Arme fiel.

 

Sie hätte ihm in diesem Augenblick gerne ihre Liebe erklärt, doch entließ er sie sanft und bedauernd aus seinen Armen und sagte: „Als du schliefst, kam ich zu dir und setzte dir eine Krone aus Edelsteinen auf den Kopf. Damals hatte ich nur Macht über das Element Feuer, das entweder verzehrt oder zu Stein erstarrt; aber jetzt sind Wasser und Leben mein. Sieh! Trage diese, denn du bist ihrer würdig.“ Und als er die Tränen berührte, die ihr in die Augen gesprungen waren, verwandelten sie sich in seinen Händen in Lilien, und er legte sie ihr auf die Stirn.

 

„Werden wir uns wiedersehen?“, fragte das Mädchen.

 

„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Ich durchschreite die Dunkelheit des Universums allein, und ich bringe meine Erlösung in Gefahr, wenn ich mich dieser Liebe zur Erde hingebe. Du bist bereits erlöst, aber ich muss meinen Weg zurück zu Gott finden, indem ich Gehorsam übe, der in der Versuchung geprüft wird. Du sollst wissen, dass ich einer von denen bin, die den Himmel aus Liebe zu den Menschen verlassen haben. Wir waren von dem feinen Element, das Flamme ist – brennend und glühend vor Liebe –, und als deine Mutter mit der Macht der Reinheit zu mir kam, um mich aus dem Ofen zu vertreiben, verlor ich meine Feuerform und nahm die Form eines Menschen an – eines Kindes.  

 

Ich war oft bei dir und eilte der Vernichtung entgegen, weil ich der Versuchung durch die Sinne nicht standhalten konnte. Hätte ich nachgegeben oder dich anders gefunden, als du bist, wäre ich wieder ein Erdgeist geworden. Ich habe mich von der Begierde nach Macht, wie ich sie in der Hand halte, verleiten lassen und meine Aufgabe, den Leidenden zu helfen, vergessen. Ich wurde zu einem Wanderer über die Erde, bis ich dieses Land erreichte, das sie das neue Land nennen. Hier soll meine letzte Prüfung erfolgen und hier werde ich das Tor des Feuers durchschreiten.“

 

Während er sprach, wurden Stimmen aus der Siedlung laut. „Sie kommen“, sagte er. Die stämmige Gestalt Hugos war im Anmarsch. Mit einem wütenden Fluch stürzte er sich auf den jungen Mann. „Er hat meine Familie ruiniert!“, rief er. „Werft ihn in den Schmelzofen!“ Der junge Mann stand wartend da, mit gelassener Miene. Er wurde ergriffen und war in wenigen Augenblicken im Schlund der brennenden Grube verschwunden. Doch als Maria aufblickte, sah sie eine Gestalt in silbrig glänzenden Gewändern, die nach oben entschwebte, bis sie in der Dunkelheit verschwand. Der Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht verwandelte sich in einen Ausdruck tiefen Friedens, der bis zum Ende anhielt.

    

DIE LEGENDE VON HUGO

 

Die merkwürdigste Geschichte des Countys ist die Legende von Hugo – eine rätselhafte Mischung aus indianischen Geschichten, christlichem Glauben und deutscher Mystik. Die Indianer glaubten, dass eine große Schildkröte und eine schwangere Frau die Welt erschaffen hatten. Um die Menschen zu schützen, sperrten sie die bösen Geister der Gier und der Lust unter dem High Tor ein, dem steilen Basaltfelsen unterhalb von Haverstraw.

 

Jahrhunderte später hörte der jüngste der drei Weisen aus dem Morgenland die Geschichte von ihrer Gefangenschaft. Das Christuskind hatte ihn tief beeindruckt und er war entschlossen, seinen Glauben auf die Probe zu stellen, indem er den High Tor fand und die bösen Geister austrieb. In einem Traum sah er den Berg über einem großen Fluss auf einem fernen Kontinent östlich von Asien. Er durchquerte Asien, überquerte die Beringstraße, reiste dann weiter über den nordamerikanischen Kontinent und fand schließlich den High Tor. Er errichtete einen Altar auf seinem Gipfel und versuchte, die Indianer zu bekehren und die Geister zu vernichten. Seine Bemühungen scheiterten und er starb an gebrochenem Herzen.

 

1740 hörte eine Gruppe von Eisenarbeitern aus dem Harz in Deutschland von den reichen Eisenerzvorkommen in der Gegend und kam zu den Hassenclaver-Minen. Ihr Anführer war Hugo, ein Rosenkreuzer.

 

Rosenkreuzer waren Mitglieder eines Geheimbundes, der von einem deutschen Ritter, Christian Rosencreutz, gegründet wurde. Sie waren Alchemisten und befassten sich mit dem Okkulten und der Mystik. Sie glaubten, dass unedles Metall in Gold und Böses in Gutes verwandelt werden kann.

 

Als Hugo von dem indianischen Märchen und den Bemühungen des Weisen hörte, träumte auch er von den bösen Geistern unter dem High Tor. Er befahl seinen Männern, dort, wo der Altar des Weisen gestanden hatte, eine Schmiede zu errichten, begann, über den Geistern zu beten, wie es der Weise getan hatte, und versuchte, sie vom Bösen zum Guten zu wenden.

 

Die Geister antworteten. Sie sagten ihm, er könne sie befreien, wenn er die Worte auf dem Rücken eines riesigen Salamanders, der unter dem Schmiedefeuer lag, laut vorlesen würde. Wenn er dies täte, würden sie ihm grenzenlosen Reichtum und Macht über die Welt geben. Er weigerte sich. Seine Männer bekamen Angst. Sie flehten ihn an, das Schmiedefeuer zu löschen und den verfluchten Berg zu verlassen. Er fuhr fort, das Feuer zu bewachen und zu beten, obwohl seine Frau und seine Kinder, ein Junge und ein Mädchen, ihn anflehten, davon abzulassen und wegzugehen.

 

Eines Nachts erhob sich der Salamander aus den Flammen. Die riesige Echse verbrannte Hugos kleinen Sohn tödlich und erschreckte seine Frau so sehr, dass sie starb. Hugo wurde vor Kummer verrückt und durchstreifte in dumpfer Wut die Wälder. Maria, seine Tochter, blieb allein in der kleinen Hütte der Familie zurück.

 

Einige Zeit später kam ein junger Mann von ungewöhnlicher Schönheit in die Hütte und bat Maria um Obdach. Sie hieß ihn willkommen und erzählte ihm in ihrer Not, was mit ihrer Familie geschehen war. Er versprach, ihr zu helfen und kniete mit ihr im Gebet für ihren Vater nieder. Von seiner Güte berührt, begann sie, ihm zu vertrauen und ihn zu lieben.

 

Er erwiderte ihre Liebe, doch eines Nachts gestand er ihr, wer er wirklich war. Er war der Engel des Feuers, der von Gott herabgesandt wurde, um der Menschheit zu helfen. Stattdessen hatte er sich von den bösen Geistern verführen lassen. Sie hatten ihn heimtückisch in einen Salamander mit geheimen Worten auf dem Rücken verwandelt. Würden diese von einem Menschen laut ausgesprochen, würden dadurch die Geister befreit. Als ihr Vater sich geweigert hatte, sie zu lesen, hatten die Geister ihm befohlen, ihren Bruder und ihre Mutter zu vernichten, ihren Vater in den Wahnsinn zu treiben und sie in Gestalt eines Menschen zu verderben.

 

Hugo, der sich in der Nähe aufhielt, hörte das Geständnis des jungen Mannes und kam zur Besinnung. Mit einem lauten Schrei stieß er den jungen Mann in das lodernde Feuer. Doch aufgrund seiner Liebe zu Maria verwandelte dieser sich wieder in einen Engel und entschwand, gen Himmel aufsteigend, ihrem Blick.

 

Aus: Myths and Legends of Rockland County New York (Mythen und Legenden des Rockland County, New York)

   

Englische Originaltexte

    

DIE HIGH TOR-LEGENDE: EIN KURZER KOMMENTAR

 

Der High Tor, nach dem unser Verein benannt ist, ist die höchste Erhebung in den dramatischen Palisades. Es überragt den Hudson auf seiner Westseite, etwa 30 Meilen flussaufwärts von New York City – ein paar Meilen nördlich der Tappan Zee-Autobrücke. Er ist Teil einer drachenförmigen Hügelkette, wobei der High Tor selbst wie der Kopf des Drachens aussieht und direkt über dem Fluss aufragt. Wenn Sie an einem klaren Tag von seinem Gipfel flussabwärts blicken, können Sie die Türme der Stadt, dem Zentrum der amerikanischen Finanzmacht, sehen. Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, dass der Name High Tor in der keltischen Überlieferung einen Ort bedeutet, an dem man mit den Göttern kommunizieren kann.

 

Die Legende, die mit diesem Gipfel verknüpft ist, verwebt Themen aus indianischen, europäisch-rosenkreuzerischen und noch älteren esoterisch-christlichen Traditionen. Trotz ihrer antiquiert anmutenden Seltsamkeit zeigt sie psychologische und spirituelle Wahrheiten auf, die den zentralen sozialen Fragen unserer Zeit zugrunde liegen. Ihre märchenhaften Bilder bringen Geheimnisse zum Ausdruck, die heute auf breiter Ebene verstanden und umgesetzt werden müssen, wenn wir eine soziale Zukunft schaffen wollen, die unserer Menschlichkeit würdig ist.

 

Es ist nicht schwer, in dem drachenähnlichen Salamander inmitten der Feuer der High Tor-Schmiede die geistige Quelle dessen zu sehen, was in unserer Zivilisation zunehmend unsozial und zerstörerisch wirkt, insbesondere im Wirtschaftsleben, das sie so sehr beherrscht. Trotz aller guten Absichten schaffen wir unaufhaltsam Technologien und soziale Einrichtungen, die sowohl der Natur als auch der menschlichen Brüderlichkeit schaden. Das Bild der verschütteten „Geister des Bösen und der Lust“, die Reichtum versprechen und Zerstörung und Wahnsinn bringen, scheint prophetisch treffend.

 

Aber selbst wenn die Legende eine schreckliche Mahnung bedeutet, so ist sie doch auch eine Erklärung für neue Möglichkeiten und echte Hoffnung. Was wir als das Böse erleben, so sagt sie uns, ist göttlichen und liebevollen Ursprungs. Es will sich von seinen Fesseln befreien, seine wahre Natur wiederfinden und zu seinem Ursprung zurückkehren. Trotz aller Tragödie kann durch die Läuterung der menschlichen Seele, durch Leiden und Hingabe eine rettende Kraft der Verwandlung gewonnen werden. In ihrer tiefsten und hoffnungsvollsten Einsicht zeigt uns diese Geschichte, dass wir – wenn wir uns dafür entscheiden – jetzt mit den spirituellen Wesen auf einem Weg der gegenseitigen Erlösung zusammenarbeiten können. So groß ist unsere Freiheit – und unsere Verantwortung für die Zukunft.

 

– Andy Leaf

    

 Übersetzung aus dem Amerikanischen von Johannes Beilharz (Copyright © 2022)