Sergio Chejfec

Auszug aus dem Roman »Geografie eines Wartens«

Als er erwachte, durchflutete das Tageslicht das Zimmer; trotzdem war es offenkundig, dass der Morgen gerade erst angebrochen war. Er vernahm Vogelgezwitscher, weit entfernt und gleichzeitig fiktiv, und das Geräusch eines Motors, das ab und zu anschwoll und sich dann wieder verlor. Er wollte die Uhrzeit wissen, suchte die Uhr, erinnerte sich aber sofort an Benavente. »Ein Tag, acht Tage, es ist alles egal«, murmelte er verschlafen, noch nicht ganz vertraut mit seiner Bemerkung. Barroso stand auf und schaute aus dem Fenster; die Luft war immer noch rein, aber jetzt strahlte sie auch noch. Er sah Dachterrassen, auf der Leine hängende — »aufgehängte« — Wäsche, Mengen von Telefonkabeln, die ein scheinbar wirres Netz bildeten, das den Raum durcheinander brachte, ihn zerschnitt; auf einigen Dachterrassen lagen ausrangierte Gegenstände herum: Autoreifen, Waschbecken aus Eisen, Bretter, Stühle aus schwarzem Rohr und hellblauem Kunstleder, Blumentöpfe. »Plunder früher, heute Gerümpel«, murmelte er so nah an der Fensterscheibe, dass es beschlug.

Als er den Blick von dem Feuchtigkeitskreis löste, um ihn wieder auf diese so einfache und urbane Landschaft, hypothetisch, aber unmittelbar, zu richten, sah er, wie ein paar Männer in kurzen Hosen im Laufschritt den kleinen Straßenausschnitt überquerten, der von seinem Schlafzimmer aus sichtbar war. Ohne sein Augenmerk auf etwas Spezielles zu richten, blieb Barroso eine Weile so am Fenster stehen. Die morgendliche Stille schien ihn — obwohl es widersinnig klingt — aufzuwühlen und ihm denselben Traum, von dem er sich gerade befreit hatte, auf andere Art wieder ins Bewusstsein zu rufen; ziellos schweifte sein Blick über die Höhen.

In einem durch die Entfernung verkleinerten Zimmer zog sich eine Frau aus oder vielleicht zog sie sich auch an, jedenfalls tat sie etwas mit ihrem Körper. Barroso konnte keine Einzelheiten erkennen, nur die größeren Bewegungen. Vielleicht, dachte er, zieht sie sich weder an, noch aus: sie könnte einfach nur ihre Wäsche ordnen und z.B. ein Handtuch an ihren Körper drücken, in der Absicht, es zusammenzulegen, Strümpfe gegen das Licht halten, um Laufmaschen zu entdecken und so auch mit all den anderen Dingen verfahren. Aber diese plötzlich zur Schau gestellte Intimität, neutral bis zu dem Punkt, an dem sie sich selbst dem Feingefühl dessen überließ, der sie betrachtete, zusammen mit dem natürlichen, durch die Entfernung aufgebauten Schutz gegen die Gefahr, sie als das zu erkennen, was sie war, ließ Barrosos Gefühle überschäumen und erzeugte heftigen Argwohn gegen jenen Raum, der sich zwischen seine Augen und das Fenster drängte: dort stellte sich die Intimität zur Schau, eine vertraute Szene, die für ihn, seit dem Weggang Benaventes, unerreichbar war. Und irgendwie war diese stumme Wut der Grund dafür, ihn an ihre Abwesenheit zu erinnern. Sofort wendete er sich der Tür zu.

   

Aus: Sergio Chejfec Geografie eines Wartens, Weissach im Tal: Alkyon Verlag 1996.

   

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